WBG Flügelrad: Ein erfolgreicher Turn-Around

18.12.2024

Bis vor vier Jahren waren die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnungsbau-Genossenschaft Flügelrad im Basler Gotthelfquartier für die Instandhaltung ihrer Häuser selbst verantwortlich. Dann hat der Vorstand diese Aufgabe übernommen. Warum dieses Genossenschaftsmodell Sinn macht, wie der Turnaround gelang und warum das neue System den Gemeinschaftssinn fördert? Darüber sprechen der Präsident der Wohnungsbau-Genossenschaft Flügelrad Peter Küng und der Historiker und Soziologe Peter Würmli im Interview.

Peter Würmli, Historiker und Soziologe (li.), und Peter Küng, Präsident der Wohnungsbau-Genossenschaft Flügelrad (re.), finden es sinnvoll, wenn die Bewirtschaftung in den Händen der Genossenschaft liegt.

Von der Eigenverantwortung zur Übernahme der Bewirtschaftung durch die Genossenschaft: Wie kam es zum Systemwechsel?
P. K.: Der Auslöser für die Idee war die Sanierung der Kanalisation an der Rigistrasse. Mit Hilfe von Fremdkapital konnten wir die Erneuerung erfolgreich umsetzen. Das bestärkte uns, weitere gemeinsame Projekte in Angriff zu nehmen. Als 2017 die Frage aufkam, was passieren wird, wenn im Jahr 2036 der Baurechtsvertrag ausläuft, wurde das Vorhaben des Systemwechsels konkreter. So sind wir dann auf die Immobilien Basel-Stadt zugegangen, um neu zu verhandeln. Der Kanton war bereit, den Baurechtsvertrag zu erneuern. Allerdings unter der Bedingung, dass wir Mietverträge ausstellen – denn bis jetzt gab es keine. Zudem mussten wir ein Konzept für Sanierungen, Renovationen und Unterhalt vorlegen.

Wie seid ihr danach vorgegangen?
P. K.:
Nachdem in der Generalversammlung entschieden wurde, den Systemwechsel durchzuführen, setzten wir unter Beizug eines Architekturbüros und einer Immobilienverwaltung die Vorgaben um und erstellten einen Renovationsplan sowie Mietverträge für die Bewohnerinnen und Bewohner der Genossenschaft.

Was ändert sich mit dem neuen Mietvertrag?
P. K.:
Der Mietzins der Altgenossenschafterinnen und -genossenschafter wird nach und nach gesteigert, bis wir 2035 bei der Zielmiete sind. Das ist übrigens auch der Zins, den die Neuzugezogenen bereits jetzt bezahlen. Denn bevor eine neue Familie in ein frei gewordenes Haus der WBG Flügelrad einzieht, führen wir eine Gesamtsanierung durch. Pro Haus investieren wir rund 250'000 Franken.

Diese drei Häuser an der Pilatusstrasse erhielten als erste Etappe eine Aussensanierung.

Wie haben die Genossenschafterinnen und Genossenschafter auf die Änderungen und konkret auch auf die Mietzinserhöhung reagiert?
P. K.:
Von einigen Seiten hiess es: Muss das sein? Kann man nicht anders? Oder: Wir haben so viel gemacht, was passiert jetzt mit unseren Investitionen? Und warum steigen jetzt unsere Mieten trotzdem?

Solche Reaktionen sind nachvollziehbar, oder?
P. W.: Natürlich. Auch aus soziologischer Sicht. Da die Leute manchmal jahrzehntelang selbst für den Unterhalt des Hauses sorgten, kommt es ihnen vor, als wäre es ihr Eigentum. Nebst finanziellen spielen auch emotionale Faktoren eine Rolle.

Wie geht ihr mit den kritischen Stimmen um?
P. K.:
Ich frage immer dasselbe: Wie viel müsstet ihr für die gleiche Wohnfläche im freien Markt zahlen? Wenn ihr euch ausrechnet, wie viel ihr eingespart und wie viel ihr investiert habt, bin ich sicher, dass ihr immer noch am Gewinnen seid. Aber natürlich nützt einer Person mit einer niedrigen Rente oder niedrigem Einkommen dieser Vergleich nichts. Das verstehe ich.

Wie vergütet ihr die bisher erbrachten Investitionen?
P. K.:
Die Restguthaben, die in den Investitionen stecken, werden amortisiert oder es wird zurückbezahlt, was bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht abgegolten wurde.

Wo steht ihr zurzeit im Prozess des Systemwechsels?
P. K.:
Wir sind gerade daran, mit Immobilien Basel-Stadt die Details des Baurechtvertrags zu klären. Dass seit zwei Jahren nun alle einen Mietvertrag haben, war für uns bereits ein wichtiger Schritt. Es gab keinen Widerstand, das hat mich gefreut. Jetzt haben wir Klarheit. Was ich festgestellt habe: Sobald die Unsicherheit weg ist, sind die Leute überzeugt.

Inwiefern habt ihr beim Systemwechsel Unterstützung vom Regionalverband Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz erhalten?
P. K.:
Beim Systemwechsel waren wir in engem Austausch mit dem Regionalverband. Uns wurden auch juristische Fachstellen empfohlen. Begleitung des Verbands in diesem Prozess war für uns sehr wertvoll.

Ist die Genossenschaft gemeinschaftlich organisiert, ist für einen werterhaltenden Unterhalt gesorgt.

Warum findet ihr es grundsätzlich sinnvoll, wenn eine Genossenschaft das Ruder selbst in die Hand nimmt?
P. K.:
Wenn man die Verantwortung den Einzelnen überlässt, muss es zumindest Richtlinien geben. Der Vorstand müsste ein Controlling einrichten, damit garantiert ist, dass die Häuser wirklich werterhaltend bewirtschaftet werden. Das wäre kompliziert. Und dann gibt es Projekte, die sinnlos wären, würde man sie nicht gemeinsam angehen. Zum Beispiel PV-Anlagen oder eine Dachsanierung.
P. W.: Die Genossenschaft agiert als Gemeinschaft nach dem Solidaritätsprinzip, so dass alle die Kosten der Umbauten mittragen. Das entspricht auch der Zielsetzung, günstigen Wohnraum zu erhalten.

Führt das neue System auch zu mehr Gemeinschaftssinn innerhalb der Genossenschaft?
P. W.:
Ja. Die Siedlung als Ganzes steht im Zentrum, nicht mehr nur das Haus, in dem man wohnt. Die Optik verändert sich, was ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl zur Folge hat. Und wer eine Idee hat, kann diese beim Vorstand einbringen. Das fördert auch den Austausch.
P. K.: Idealerweise passiert das. Ich stelle fest, dass die Leute bei uns in der Genossenschaft froh sind, dass es einen Vorstand gibt, der sich um ihre Anliegen kümmert – und auch eine Vision hat. Wir ebnen gemeinsam den Weg für die junge Generation, die von tollen Wohnmöglichkeiten profitieren möchte.


«Wir ebnen gemeinsam den Weg für die junge Generation»

Peter Küng, Präsident der WBG Flügelrad

Warum ist es gerade in der heutigen Zeit wichtig, dass Genossenschaften als Einheit organisiert sind?
P. W.:
Mit Genossenschaften kann man der Individualisierung und Vereinsamung entgegenwirken – zwei Herausforderungen, die überall ein wichtiges Thema sind. Es entwickelt sich ein nachbarschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich auch als Nachbarschaftshilfe umsetzen lässt. Man kennt und unterstützt sich.

Was habt ihr durch den Systemwechsel gelernt?
P. K.:
Dass es wichtig ist, dass die Genossenschafterinnen und Genossenschafter möglichst frühzeitig verlässliche Informationen erhalten.
P. W.: Kommunikation ist das A und O. Sonst entsteht Unsicherheit, weil die Leute nicht Bescheid wissen, was passiert. Man muss transparent und überzeugend kommunizieren.

Was wünschst du dir für die Zukunft der WBG Flügelrad?
P. K.:
Dass wir mit den Renovations- und Sanierungsprojekten den Kurs halten können. Und dass wir weiterhin attraktive Wohnmöglichkeiten für Familien mit Kindern bieten können.

Gartenstadt-Siedlungen in Basel

Zu Beginn der 1920er Jahre bauten in Basel Wohngenossenschaften und andere Bauträger mehrere Reihenhaussiedlungen nach dem aus England stammenden Gartenstadt-Konzept. Die Idee entstand als Alternative zu den stickigen und engen Mietskasernen des 19. Jahrhunderts und versuchte, den Gegensatz Stadt-Land aufzulösen. Kleine, günstige Einfamilienhäuser mit Garten sollten zur Linderung der Wohnungsnot beitragen und eine Basis zur Selbstversorgung bieten. «Luft, Sonne und Licht» war 1919 bis 1929 einer der Hauptslogans, mit welcher der Verein Gemeinnütziger Wohnungsbau Basel, Vorgängerverein des Regionalverbandes wohnbaugenossenschaften nordwestschweiz, den Bau von Gartenstadt-Siedlungen propagierte. Zusammen mit dem Architekten Hans Bernoulli realisierte der Verein – vor allem im Neubad- und Hirzbrunnenquartier zahlreiche Reihenhaussiedlungen. Die meisten wurden von Wohngenossenschaften erstellt und blieben in deren Besitz, einzelne Siedlungen wurden aber bereits nach der Fertigstellung verkauft. Die bedeutendste und fast schon idealtypisch anmutende Gartenstadtsiedlung in der Schweiz ist das Freidorf in Muttenz, bei der sich 150 Reihenhäuser um einen zentralen (Pflanz-)Platz mit ACV-Laden, Schule und Versammlungssaal gruppierten.

Peter Würmli, Historiker und Soziologe